Das innere Ohr |
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Die vielfältigen Wege heutiger Musikperformance beim Festival "Das innere Ohr" im Offenen Kulturhaus Linz
Der Begriff "Performance" ist im Musikbereich erst seit kurzer Zeit zu finden. Von den frühen 70er Jahren an bezeichnete "Performance" ursprünglich eine Kunstrichtung der bildenden Kunst, bei der die Akzente auf Aktion, prozeßorientierten Arbeitsvorgängen und Ereignischarakter der (einmaligen, unwiederholbaren) Aufführung lagen. Die Ursprünge dieser Strömung reichen freilich viel weiter in die Geschichte zurück: mindestens zu den Avantgardebewegungen der 20er Jahre (DADA, Futurismus und Surrealismus), bei näherer Betrachtung auch zu Tendenzen in der Kunst vergangener Jahrhunderte, die durch eine "Umwertung der Werte" gegen etablierte Kunst-Sprachen rebellierten (so zum Beispiel zur "Commedia dell'Arte" im 16. Jahrhundert). Solche Rebellion gegen das Festgelegte, das sich Verhärtende in der Kunst erscheint so als eines der archetypischen Merkmale der Performance-Kunst. In der Musik sind neben der zentralen Rolle, die John Cage mit seinem gesamten Schaffen für die Entwicklung der Performance einnimmt, das "Instrumentale Theater" Mauricio Kagels und verwandte Strömungen (z. B. bei Schnebel, Globokar, in den Simultankonzerten der 60er Jahre etc.) wichtige historische Stationen.
Das Flüchtige, Ephemere der Performance wird im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit für das museale Archiv und des medialen Netzes zu einer neuen Qualität mit leicht archaischer Färbung. Im lebendigen, oft körperlich erfühlbaren Kontakt wird die Anonymität der "Guckkasten-Perspektive" des Zuschauers, sei es die des Fernsehens oder die des traditionellen Konzertes, Theaters, Museums, aufgelöst. Eine Reproduzierbarkeit, Archivierbarkeit ist deshalb im Bereich der Performance schwierig bis unmöglich. Die Aura, deren Verlust Walter Benjamin bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts konstatierte, gewinnt wieder entscheidende Bedeutung.
In unserem Festival "Das innere Ohr" wird ein solcher Ansatz wohl am deutlichsten bei der Installation/Performance von A. Harold Barreiro, bei der die Besucher sich mitten in der Installation aus Flaschen, Drähten, Klavier und Metallplatten aufhalten können und dabei Vibrationen, Resonanzen auslösen und spüren, gleichermaßen Klang erzeugen wie wahrnehmen können: Klänge werden jeglicher Bedeutung und Repräsentation entbunden und bewirken - aus sich selbst heraus - lebendige Kommunikation.
Das "Innere Ohr" nimmt als programmatischer Titel Bezug auf das Organ-artige, das Sinnliche der Musikperformance und dient andererseits als Symbol für labyrinthische Strukturen, die das Festival als Ganzes wie auch viele der einzelnen Aufführungen bestimmen. Vier im Offenen Kulturhaus eingerichtete Installationen führen den Besucher auf einem labyrinthartigen Weg durch das Gebäude, geben ihm an manchen Orten Anlaß, länger zu verweilen und auch - wie im Klanglabyrinth der Wiener Künstler Carmen Wiederin und Karlheinz Essl - die Möglichkeit, sich eigene Räume durch Verschiebung von Raumobjekten selbst zu schaffen.
Einen eigenen Klang-Raum erzeugt auch die Eröffnungsperformance Topokollophon mit den 10 Saxophonen der Karlsruher Raum-Musik und dem Ensemble um den Komponisten Volker Staub: von einer Verteilung der Klänge im gesamten Gebäude ausgehend, wird der Ort (Topos) des Klanges (Phonos) schließlich im großen Saal eindeutig definiert, in dem alle 13 Instrumentalisten mit der Zeit zusammentreffen. Dabei werden die unterschiedlichen musikalischen Ansatzpunkte der freien Improvisation (Saxophone) und strukturell festgelegter Komposition (Volker Staub) im Zusammentreffen nicht als unüberwindbare Gegensätze angesehen, sondern als fruchtbare Quellen künstlerischer Kooperation.
Schon diese Beispiele zeigen, wie weit der Begriff der "Musikperformance" gefaßt werden muß, will man nicht der groben Vereinheitlichung, Verengung oder begrifflicher Dogmatisierung verfallen. Kennzeichen der Postmoderne wie Heterogenität, Mannigfaltigkeit, weit verzweigte Verbindungen (Konnexionen) der einzelnen Haltungen, Strömungen untereinander treffen auf die Musikperformance zu wie auf kaum ein anderes künstlerisches Phänomen unserer Zeit.
Bei aller Vielfalt lassen die Performances des Festivals aber doch einige allgemeinere Positionen erkennen, die zum Teil die "Tradition" der Performance-Kunst hervortreten lassen, zum Teil aber auch zeit- und gegenwartstypische Merkmale widerspiegeln:
- Die Aufführungen haben Ereignischarakter und sind durch die spezifische räumliche Situation und den sehr direkten Kontakt mit den Besuchern nicht angemessen medial konservierbar und reproduzierbar, somit in ihrer vorgeführten Gestalt "eimalig" und unwiederholbar.
- Die Vorbereitung der Aufführung geschieht in einer zwar offenen und prozeßhaften, aber doch konzeptionell stark auf die Aufführng ausgerichteten Arbeit. Die Aufführung, ein Endresultat ist eindeutig definiertes Ziel und wird nicht wie häufig in früheren Stadien der Performance-Kunst (z. B. in der Concept Art und im Fluxus in den 60er Jahren) als unwichtig und dem Arbeitsvorgang untergeordnet betrachtet.
- Alle Performances versuchen eine Art von magischer Aura zu schaffen, die den Besucher stärker als gewöhnlich in das Geschehen integriert und ihm teilweise auch eine aktive Rolle zuweist. Die Ansätze reichen dabei von direkter körperlicher oder instrumentaler Beteiligung des Besuchers an der Klang- und Raumerzeugung (Sandeep Bhagwati, A. Harold Barreiro, Essl/Wiederin, Phil Williams) über die Möglichkeit, den Betrachterstandpunkt fortgesetzt zu wechseln (Elliott Sharp, Raum-Musik & Volker Staub, Schäfer/Krebs) bis hin zu einer Auffassung vom Publikum als räumlichem Zentrum, um das herum sich das Geschehen ausbreitet (Spour/Obermayer, Free Okapi). Einzig die Performance "Tundravoice" mit dem ungarischen Künstler Viktor Lois schafft durch eine extreme Distanz zum Betrachter (die Aufführung findet im unbegehbaren Lichthof des Offenen Kulturhauses statt) eine andersgeartete Situation. Durch die daraus resultierende verwirrende voyeuristische Perspektive der Besucher, die von oben hinunter auf die Ausführenden blicken, tritt das "Mitten-im-Geschehen-Sein" bei den anderen Performances umso deutlicher hervor.
- Die in der traditionellen Performance-Kunst häufige Beziehung zum Ritual ist bei den Performances des Festivals eher die Ausnahme. Möglicherweise ist darin eine Skepsis gegenüber der ritualartigen Form üblicher musikalischer Aufführungspraxis (Konzert, Oper) zu sehen. Am ehesten wären in dieser Hinsicht wohl noch die Performances des Zagreber Künstlers Damir Bartol mit Elliott Sharp und des Posaunisten Christian Muthspiel zu nennen, die stärker ausgeprägte rituelle Momente wie Bartols stark energiegeladene Aktionen und Muthspiels gehendes Posaunenspiel, enthalten.
- Ein wesentliches Charakteristikum fast aller Performances ist die Unvorhersehbarkeit des Endresultats. Diese entsteht nicht nur durch die ohnehin unvorhersehbaren Eingriffe und Reaktionen des Publikums, sondern ist auch konzeptioneller Bestandteil einiger Projekte. So tauchen die "Störungen" der "Herme" der Wiener Künstlerin Myriam van Doren in immer anderen Zusammenhängen und an unvermuteten Orten plötzlich auf, sind flackernde Irritation, ablenkender Irrweg. Karlheinz Essls Musik des Klanglabyrinths wird mittels eines Zufallsgenerators aus Klangpartikeln gewonnen, deren - unvorhersehbare - Abfolge so im Moment ihres Erklingens entsteht (Real Time Composition).
- Der Raum als wichtiger Bestandteil der Aufführung ist ebenfalls in fast allen Performances direkt thematisiert. Elliott Sharps Musik "Cochlea", in 4-5 Räumen gleichzeitig gespielt, mit der "Summe" der Klangereignisse am Gang, der die Räume verbindet, ist dabei ebenso zu nennen wie "Mind the Gaps" von Sandeep Bhagwati, wo die Besucher durch Bewegung im Raum von Lichtschranken gesteuerte Klänge auslösen können, auf die zwei Musiker dann nach einem bestimmten System reagieren. In beiden Fällen ist eine Bewegung im Raum, eine Erkundung des Raumes für die Rezeption der Musik wesentlich, ja unverzichtbar. Die vier Installationen thematisieren ebenfalls alle diesen Aspekt des Raumes, der erkundet werden will.
- Die Einbeziehung neuester Technologien ist selbstverständlicher Bestandteil der meisten Projekte des Festivals. Als einiziges größeres Multi-Media Ereignis bezieht dabei "Metabolic Stabilizers" von Robert Spour und Klaus Obermaier mit seiner Vernetzung von elekronischen Klängen, mehreren Videoprojektionen, Tanz und Licht allerdings eine Sonderposition. Die Forderung nach Lebendigkeit der Performance macht ein Zurückziehen auf reine "Medienkunst" ohnedies schwierig. So besteht bei einer scheinbar rein medialen Installation wie dem "Klangtunnel" von Sabine Schäfer und Joachim Krebs die "Performance" in der Erkundung eines (nur von Videobildern erleuchteten) Tunnels durch die Besucher.
Das Offene Kulturhaus wird so drei Tage lang zu einem Labyrinth von verschiedenen Ansätzen, Stilen, Aufführungsarten. Dabei zeigt sich Musikperformance als ein äußerst bewegliches Phänomen, das der Aufforderung von Gilles Deleuze und Félix Guattari zu folgen scheint: "Niemals Wurzeln schlagen, wie schwierig es auch sein mag, nicht auf diese alten Verhaltensweisen zurückzugreifen."