Das innere Ohr

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Internationales Festival zeitgenössischer Musikperformance
Linz, Offenes Kulturhaus, 2. - 4. 3. 1995




Wiederentdeckung der Aura

Die vielfältigen Wege heutiger Musikperformance beim Festival "Das innere Ohr" im Offenen Kulturhaus Linz

Der Begriff "Performance" ist im Musikbereich erst seit kurzer Zeit zu finden. Von den frühen 70er Jahren an bezeichnete "Performance" ursprünglich eine Kunstrichtung der bildenden Kunst, bei der die Akzente auf Aktion, prozeßorientierten Arbeitsvorgängen und Ereignischarakter der (einmaligen, unwiederholbaren) Aufführung lagen. Die Ursprünge dieser Strömung reichen freilich viel weiter in die Geschichte zurück: mindestens zu den Avantgardebewegungen der 20er Jahre (DADA, Futurismus und Surrealismus), bei näherer Betrachtung auch zu Tendenzen in der Kunst vergangener Jahrhunderte, die durch eine "Umwertung der Werte" gegen etablierte Kunst-Sprachen rebellierten (so zum Beispiel zur "Commedia dell'Arte" im 16. Jahrhundert). Solche Rebellion gegen das Festgelegte, das sich Verhärtende in der Kunst erscheint so als eines der archetypischen Merkmale der Performance-Kunst. In der Musik sind neben der zentralen Rolle, die John Cage mit seinem gesamten Schaffen für die Entwicklung der Performance einnimmt, das "Instrumentale Theater" Mauricio Kagels und verwandte Strömungen (z. B. bei Schnebel, Globokar, in den Simultankonzerten der 60er Jahre etc.) wichtige historische Stationen.

Das Flüchtige, Ephemere der Performance wird im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit für das museale Archiv und des medialen Netzes zu einer neuen Qualität mit leicht archaischer Färbung. Im lebendigen, oft körperlich erfühlbaren Kontakt wird die Anonymität der "Guckkasten-Perspektive" des Zuschauers, sei es die des Fernsehens oder die des traditionellen Konzertes, Theaters, Museums, aufgelöst. Eine Reproduzierbarkeit, Archivierbarkeit ist deshalb im Bereich der Performance schwierig bis unmöglich. Die Aura, deren Verlust Walter Benjamin bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts konstatierte, gewinnt wieder entscheidende Bedeutung.

In unserem Festival "Das innere Ohr" wird ein solcher Ansatz wohl am deutlichsten bei der Installation/Performance von A. Harold Barreiro, bei der die Besucher sich mitten in der Installation aus Flaschen, Drähten, Klavier und Metallplatten aufhalten können und dabei Vibrationen, Resonanzen auslösen und spüren, gleichermaßen Klang erzeugen wie wahrnehmen können: Klänge werden jeglicher Bedeutung und Repräsentation entbunden und bewirken - aus sich selbst heraus - lebendige Kommunikation.

Das "Innere Ohr" nimmt als programmatischer Titel Bezug auf das Organ-artige, das Sinnliche der Musikperformance und dient andererseits als Symbol für labyrinthische Strukturen, die das Festival als Ganzes wie auch viele der einzelnen Aufführungen bestimmen. Vier im Offenen Kulturhaus eingerichtete Installationen führen den Besucher auf einem labyrinthartigen Weg durch das Gebäude, geben ihm an manchen Orten Anlaß, länger zu verweilen und auch - wie im Klanglabyrinth der Wiener Künstler Carmen Wiederin und Karlheinz Essl - die Möglichkeit, sich eigene Räume durch Verschiebung von Raumobjekten selbst zu schaffen.

Einen eigenen Klang-Raum erzeugt auch die Eröffnungsperformance Topokollophon mit den 10 Saxophonen der Karlsruher Raum-Musik und dem Ensemble um den Komponisten Volker Staub: von einer Verteilung der Klänge im gesamten Gebäude ausgehend, wird der Ort (Topos) des Klanges (Phonos) schließlich im großen Saal eindeutig definiert, in dem alle 13 Instrumentalisten mit der Zeit zusammentreffen. Dabei werden die unterschiedlichen musikalischen Ansatzpunkte der freien Improvisation (Saxophone) und strukturell festgelegter Komposition (Volker Staub) im Zusammentreffen nicht als unüberwindbare Gegensätze angesehen, sondern als fruchtbare Quellen künstlerischer Kooperation.

Schon diese Beispiele zeigen, wie weit der Begriff der "Musikperformance" gefaßt werden muß, will man nicht der groben Vereinheitlichung, Verengung oder begrifflicher Dogmatisierung verfallen. Kennzeichen der Postmoderne wie Heterogenität, Mannigfaltigkeit, weit verzweigte Verbindungen (Konnexionen) der einzelnen Haltungen, Strömungen untereinander treffen auf die Musikperformance zu wie auf kaum ein anderes künstlerisches Phänomen unserer Zeit.

Bei aller Vielfalt lassen die Performances des Festivals aber doch einige allgemeinere Positionen erkennen, die zum Teil die "Tradition" der Performance-Kunst hervortreten lassen, zum Teil aber auch zeit- und gegenwartstypische Merkmale widerspiegeln:


Das Offene Kulturhaus wird so drei Tage lang zu einem Labyrinth von verschiedenen Ansätzen, Stilen, Aufführungsarten. Dabei zeigt sich Musikperformance als ein äußerst bewegliches Phänomen, das der Aufforderung von Gilles Deleuze und Félix Guattari zu folgen scheint: "Niemals Wurzeln schlagen, wie schwierig es auch sein mag, nicht auf diese alten Verhaltensweisen zurückzugreifen."

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